Frau Dingdong hat heute oder gestern einen Artikel über Amish-Futurismus
verlinkt (
hier gehts zum Artikel) - und schon hab ich wieder ein Bussi von meiner
Muse auf der Wange, so ein nasses schlabbriges wie von einem überschwänglichen Zweijährigen.
Ich kenn natürlich die Amischen, aber ich hab vergessen, wie inspirierend sie zum Thema Konsumkritik sind, auch wenn ich mit Religion und religiösem Leben null anfangen kann, und auch einiges kritisch seh.
Entgegen allen futuristischen Settings in Dystopien und Sci-fi-Serien sehe ich persönlich die Zukunft sehr viel mehr Low Tech als den Filmemachern und Spieleentwicklern Spaß machen würde.
Low Tech, das sind schlaue Gerätschaften, die ohne Strom o.ä. auskommen. Fahrräder sind Low Tech, ein Mixer mit Handkurbel ist Low Tech, zwei Tonkrüge mit Erde dazwischen zur Aufbewahrung von Gemüse sind Low Tech, und Segelschiffe auch.
Niemand sagt, dass diese Sachen optisch daherkommen müssen wie aus dem 18. Jahrhundert, auch wenn das manch einer schick finden kann (ich zB :D). Niemand sagt, dass das Zeug nicht beim Nachbarn ausm 3D Drucker kommen darf.
Und niemand sagt, dass Segelschiffe einen zurück ins Mittelalter katapultieren. Moderne Segelschiffe sind erstens schick und modern anzusehen und zweitens den Motorenschiffen weit überlegen (kein Motor, kein Tank, dadurch schneller, wendiger und mehr Ladefläche). Wirf mal die Suchmaschine an, da gibts ganz abgefahrene Sachen, teilweise wirklich mit Segeln, teilweise mit Turbinen. Im
Netzkonstrukteur-Blog gibts ein paar so geniale Technologien, wo Strom aus riesigen Grashalmen gewonnen wird. Äh, ich schweife ab.
Aber die Realität ist trotz allem, dass uns die Rohstoffe alle enorm ausgehen. Peak Oil ist bekannt - dass uns das Erdöl verpufft. Keine Sau würde sich für die kompliziert und teuer zu bewirtschaftenden Teersandfelder interessieren, wenn die Kacke nicht schon am Dampfen wär. Unsere Gesellschaft basiert so dermaßen auf Erdöl, dass uns das volle Ausmaß noch gar nicht bewusst ist.
Energie ist ein ganz zentrales Element im Funktionieren einer gesellschaftlichen Ordnung, aber es wird eigentlich nie angesprochen, auch die Wissenschaft ist meist auf dem Energie-Auge blind.
Unsere Geschichte geht ja nämlich so:
Pflanzen wandeln Sonnenenergie in essbare Kalorien um. Tiere essen Pflanzen und nehmen damit indirekt Sonnenenergie auf - sie eignen sich die Energie die sie zum lustig Herumspringen brauchen also an, indem sie prima Biomasse jausnen. Jäger/Sammler-Gesellschaften brauchen zum Leben auch Biomasse: Pflanzen, Tiere, Holz. Nicht alles wird für Energie gebraucht (indem man es in Bauchspeck oder Lagerfeuer umwandelt), sondern auch für Häuschen und Pfeile.
Die Agrargesellschaft (neolithische Revolution) geht einen Schritt weiter, sie eignet sich nicht nur frei herumliegende Biomasse an, sie erhöht die für sie verfügbare Energie, indem sie Natur kolonisiert. So nennt man das, wenn man Nutztiere züchtet und Ackerbau betreibt, also Ökosysteme gezielt so verändert, dass der Ertrag steigt. Wenn man das geschickt macht, hat man eine kleine Überproduktion, sodass 5% der Bevölkerung nicht in der Landwirtschaft tätig sein muss.
Der große Sprung kommt durch die industrielle Revolution, wo plötzlich durch fossile Energieträger, also Kohle und später Erdöl, dermaßen große Mengen an Energie zur Verfügung stehen, wie niemals zuvor (und mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals danach...). Eine Gesellschaft kann sich nur innerhalb der energetischen Grenzen
entwickeln - und die sind abhängig vom Boden, wo unser Bohnenaufstrich
sozusagen rauswächst. Wirds mit dem eigenen Boden eng, holt man sichs
von woanders (Kolonialismus). Fossile Energieträger haben also ein ganz
wesentliches Problem (kurzzeitig) gelöst - Party!
Der wesentliche Punkt ist, Energie war immer der zentrale begrenzende Faktor und man muss alle gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen auch auf dem Hintergrund der verfügbaren Energie(träger) betrachten (leider wird das auch in der Wissenschaft meistens ignoriert).
Und der ganze Rest...
Aber das mit der Energie ist ja noch nicht alles. Der ganze Rest geht uns aus. Um die Ernährung von 7, 8 oder 10 Milliarden Menschen zu gewährleisten, brauchen wir zum Beispiel
Düngemittel. Ohne die
Grüne Revolution wäre die heutige Lebensmittelproduktion ja gar nicht möglich. Düngemittel kommt aber nicht aus dem Nichts. Ja ok, mit dem Haber-Bosch-Verfahren kann man sich Ammoniak sozusagen aus der Luft ziehen (allerdings nur mit enormen Energieeinsatz, und die geht uns ja bekanntlich aus). Aber sonst können wir uns Phosphor nur aus dem Berg holen - und auch das
geht uns aus.
Die
fruchtbaren Böden gehen uns aus. Erstens historisch bedingt - die ersten Siedlungen waren natürlich dort, wo was gut wächst. Wenn Siedlungen sich räumlich ausdehnen (urban sprawl), schlucken sie dann blöderweise genau diesen fruchtbaren Boden. Zweitens natürlich die Übersäuerung und Bodenerosion. Boden ist eine endliche Ressource. Was weg ist, ist weg. Puff. Die Humusschicht braucht viele hundert Jahre, um sich wieder aufzubauen und bis dahin muss man sie natürlich komplett in Ruhe lassen. Außer es hat sich eine Wüste gebildet, dann ist es eher mal zu spät, tät ich sagen.
Viele
Metalle gehen uns aus - allen voran die Seltenen Erden. Die sind nicht in dem Sinne selten, sondern nur meistens in so Minimengen vertreten, dass man unglaublich viel mehr Geld in den Abbau stecken müsste, als rausschauen würde. Es gibt ein paar Orte, wo die konzentrierter vorkommen, und die leeren sich grade fleißig. Ist halt blöd, dass Photovoltaik zB ohne Seltene Erden nicht geht.
Die Liste ginge noch weiter. Trinkwasser zum Beispiel, ganz schirches Problem. Ach, wirf einfach mal die Suchmaschine an und such nach "
Peak Everything". Halte Frustkekse bereit. Bio, wenn geht.
Peak Everything vs. heutige Gesellschaft
All diese Ressourcen sind viel wichtiger und grundlegender für unsere heutige Gesellschaft, als wir uns das im Alltag bedenken.
Dass wir eine Dienstleistungsgesellschaft haben, wo nur noch 2-5% der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten muss, das
geht nur mit Erdöl. Weil wir so die menschliche Arbeit im physikalischen Sinne nicht mehr brauchen. Es ist eine einfache Rechnung: Je mehr Überproduktion von landwirtschaftlichen Produkten, desto komplexer kann eine Gesellschaft sein. Agrarische Gesellschaften sind wenig komplex. Bei 5% nichtlandwirtschaftlicher Bevölkerung ist da nur eine kleine Adelsschicht drin. Entweder man beutet andere Völker aus (Kolonialismus) und kommt so zu mehr Rohstoffen, oder man ersetzt irgendwie Arbeitskraft durch zB. Erdöl. Man darf gespannt sein, wie sich das weiterentwickeln wird. Zurück ins Mittelalter ist keine Option, allein schon deswegen, weil die Uhr, tickitacki, immer nur nach vorne geht. Was aber alles an der Ressource Erdöl hängt, darfst du dir selber mit einem Mindmap malen, ein richtig dichtes Netz aus Ernährung, Transport, Globalisierung, Komplexität, Arbeitszeitreduktion, Hobbies, Lebensstile, Verteilungsgerechtigkeit, Dienstleistungen, Medizin, gobale Gerechtigkeit, Arbeitsmobilität, Infrastruktur und Raumplanung... Und alle Linien haben Pfeile, oft in beide Richtungen. Wie werden sich Infrastrukturen entwickeln, wenn das Pendeln zum Arbeitsplatz nicht mehr möglich ist? Wie werden sich unsere Konsummuster ändern müssen, wenn die energiehungrigen Industrien umdenken mussten? Wie wird das tägliche Leben in Familien aussehen? Welche Produkte werden wir nutzen? Lass dich in deinen Gedanken treiben. Besorg dir für das Mindmap besser ein Blatt in A1-Größe und schreib klein...
Und nein, Erdöl lässt sich niemals durch Strom aus Wasser/Wind/etc. ersetzen. Nicht in der Menge, wie wir die Energie grade verbraten. Aber das weißt du ja.
Raumschiffe und Marsbesiedelung? Eh niedlich.
Inmitten so einer Realität muss ich leider bei den ganzen Weltraumfantasien herzlich lachen. Die Verfügbarkeit von Energie ist ein wesentlicher Faktor, auch was an gesellschaftlichen Geschmacksrichtungen verfügbar ist. Woher soll die Energie kommen für bemannte Raumfahrt wie in Star Trek? Atomkraft? Klar, es gibt Leute, die fest an die kalte Fusion glauben. Aber wir sollten doch aus der Geschichte über die
Risikospirale (Begriff von
Ulrich Beck, wenn mich nicht alles täuscht) gelernt haben. Jede neue Technologie soll in Wahrheit ja die Risiken und Probleme der alten Technologie lösen, aber bringt nur wieder neue Risiken in die Welt. Die Atomkraft wurde in Zeiten vom sauren Regen, der ja durch die Emissionen aus Kohlekraftwerken verursacht wurde, gefeiert. Bis uns mal ganz dezent ein Atomkraftwerk um die Ohren geflogen ist. Nö, ich glaube nicht an die kalte Fusion.
Ich glaube an Greenpunk.
So wie Steampunk ein vergangenes Energie- und Technikregime (Kohle/Dampf und Mechanik) in die Zukunft projiziert, projiziere ich mit meinem voll cool ganz alleine ausgedachten Prinzip des Greenpunk ein auf Biomasse basierendes Regime in die Zukunft. Nur halt ohne die ganzen uncoolen Sachen wie Patriarchat, Feudalismus, Pest und sowas. Und wirklich nix spricht gegen 3D Drucker. Aber halt das mit dem High Tech mal mit mehr Abstand sehen. Weil sonst ist man nur traurig und maulig, wenn wir wieder auf ein Energiemengenniveau von, keine Ahnung, 1920 oder so, zurückfallen.
Deswegen bin ich Minimalistin.
Es gibt ja so viele Gründe, reduziert zu leben, wie es reduziert Lebende gibt. Einer meiner beiden Hauptgründe ist Peak Everything. Er ist bereits Realität. Aber während andere noch mit Scheuklappen jedes Jahr auf die Malediven fliegen (solang es die noch gibt), bereite ich mich mental auf ein postfossiles Leben vor.
Und deswegen hab ich irgendwie auch immer nur ein müdes Lächeln für all diese High-Tech-Romantik übrig. Ich sag: Low Tech ist die Zukunft. Greenpunk :D
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